Das unendliche Potential im Klassenzimmer
Du bist Lehrer und findest nicht den richtigen Draht zu deinen Schülern? Sie schenken dir keine Aufmerksamkeit oder nehmen dich nicht ernst? Ich präsentiere dir 3 Ansätze, wie du den Umgang mit deinen Schülern für immer verändern und ihr Potenzial entfalten kannst.
Ein Austausch auf Augenhöhe – aber wie?
Was siehst du, wenn du an ein Klassenzimmer denkst? Ich sehe 25 Schüler mit unterschiedlichen Charakteren und ganz viel Potenzial sowie einige Klassenlehrer mit wertvollen Erfahrungen und Sichtweisen. Wie stark könnten alle Beteiligten davon profitieren, wenn hier ein konstruktiver Austausch auf Augenhöhe stattfinden würde?
Doch wer hat hier die Zügel in der Hand? Warum ist ein und dieselbe Klasse bei einem Lehrer mit voller Begeisterung bei der Sache und lernt mit Freude, während ein anderer Lehrer es kaum schafft, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? An wem liegt das? Schließlich ist die Klasse immer dieselbe, nur die Lehrer wechseln sich stündlich ab.
Ich habe einige Workshops in unterschiedlichen Schulen geleitet und als Nachmittagsbetreuer in einer Wiener Volksschule gearbeitet. Auf die häufig von Lehrern an mich gestellte Frage “Wie bekomme ich die Aufmerksamkeit meiner Schüler?”, bin ich zu folgenden drei Schlüssen gekommen:
1. Die innere Grundhaltung zu deinen Schülern
Zu Beginn musst du dir einige elementare Fragen stellen: Was siehst du in den Schülern, die du unterrichtest? Erkennst du das Potenzial der jungen Menschen und die Möglichkeit eines gegenseitigen Lernens voneinander? Oder bist du eher der Meinung, dass nur du als Lehrkraft im Besitz der Wahrheit bist und nur sie von dir lernen können? Nicht umgekehrt?
Wie betrachtest du “auffällige” Schüler, die gerne aus der Reihe tanzen? Könnten deren Verhaltensweisen, abseits der Norm, möglicherweise auch Vorteile mit sich bringen?
Versuche über den Tellerrand zu blicken: Vielleicht ist der störende “Klassenkasperl” bald ein großartiger Kabarettist. Womöglich ist der Schüler, der häufig unangenehme, kritische Fragen stellt, in naher Zukunft ein hervorragender Politiker. Und jener Schüler, der nie still sein kann, wird vielleicht ein begnadeter Vortragsredner. Könnte es sein, dass das Kind, welches nie “richtig” malt, bald ein trendiger, unkonventioneller Künstler wird?
Wie du siehst sollte man ein Buch niemals aufgrund seines Einbands beurteilen. Was wir auf den ersten Blick häufig als Schwäche erkennen, kann beim zweiten Hinschauen unfassbar großes Potential in sich bergen.
In der Vergangenheit haben mich viele meiner Schüler an meine Grenzen gebracht. Doch von allen konnte ich etwas lernen. Nach jedem Ereignis habe ich mir die Frage gestellt, was ich an meiner Sichtweise ändern könnte:
- Vielleicht sollte ich mit ruhigerer Stimme reden?
- Womöglich ist meine Wortwahl für einen Volksschüler oder Jugendlichen gar nicht verständlich?
- Vielleicht sollte ich dem Schüler mehr Wertschätzung entgegenbringen?
- Möglicherweise sollte ich spannenderer Beispiele wählen, um die Schüler mehr am Unterricht zu begeistern?
- Vielleicht sollte ich etwas lockerer werden und mehr Humor in den Unterricht einfließen lassen?
- Womöglich sollte ich die Grenzen klarer abstecken und gegebenenfalls die Konsequenzen auch wirklich durchziehen, damit ich von den Schülern ernst genommen werde?
Diese und viele weitere Fragen habe ich mir bereits des Öfteren gestellt. Wichtig dabei ist, jeden einzelnen Schüler als sein Spiegelbild wahrzunehmen und zu erkennen, dass man auch als Lehrer an jedem Schüler konstruktiv wachsen kann.
Forscher haben herausgefunden, dass bei Schülern, die sich von Mitschülern oder Lehrern abgelehnt fühlen, jenes Zentrum im Gehirn angesteuert wird, das auch bei Schmerzempfinden aktiv ist. Denkt man über diesen wissenschaftlichen Fakt nach, wird einem schnell das ein oder andere Verhalten seiner Schüler klar.
Wie kann man dieses Wissen nun am besten in die Praxis umsetzen? Mein Vorschlag dazu ist: Stelle eine Liste deiner Klasse zusammen und notiere dir bei jedem einzelnen Schüler, welche wunderbaren Potenziale du in ihm siehst, welche "Schwächen" Stärken sein könnten und was du von ihm lernen kannst. Setzt du diesen Tipp um, wirst du schnell erkennen, wie sich deine eigene Grundhaltung gegenüber den Schülern, in der kommenden Unterrichtsstunden wandeln wird. Ein weiterer Vorteil: Durch deine geänderte Grundhaltung fühlen sich auch die Schüler von dir gesehen, was bei ihnen wiederum intrinsische Motivation und Eigenverantwortung weckt.
Natürlich bist du, falls du in einer konventionellen Schule unterrichtest, an den vorgegebenen Lehrplan gebunden und dabei kann es häufig zu zeitlichen Engpässen kommen. Vergiss jedoch nie, dass eine wertschätzende Grundhaltung Wunder bewirken kann. Dafür sollte immer genug Zeit sein.
Dabei bleibt zu beachten, dass eine gesunde Balance zwischen Freiheit und Regeln keinesfalls bedeutet, dass jeder Schüler immer das tun kann, wozu er gerade Lust hat. Klare Regeln und festgelegte Strukturen, bei welchen die Schüler teilweise Mitspracherecht haben können, sind gerade für Heranwachsende besonders wichtig. Dennoch kann eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber den Schülern vieles zum Positiven verändern. Probiere es aus und überzeuge dich selbst davon!
2. Begeisterung statt trockenem Unterrichtsstoff
Ich bin selbst einmal Schüler einer Handelsakademie gewesen und zu dieser Zeit ist mir im Fach “Politische Bildung” eines ganz stark bewusst geworden: Es gibt keine langweiligen Fächer, es gibt nur langweilige Lehrmethoden.
In der vierten Klasse hatten wir einen Lehrer, der den Stoff trocken vorgetragen hat und in meinem Kopf ist folgendes Bild entstanden: “Politische Bildung ist ja voll langweilig”.
Doch wie kam es, dass ich dann ein Jahr darauf das selbe Fach mit voller Begeisterung verfolgt habe? Ganz einfach: Weil wir in diesem Jahr eine neue Lehrerin bekamen, welche den Stoff praxisnah und mit lebhaften Beispielen vermittelt hat. So konnte ich mich erstmals für das Thema Politik begeistern und erkannte die Relevanz, von etwas, das uns alle betrifft.
Dasselbe gilt für jedes andere Fach: Man kann Mathematik trocken runterbeten oder man kann die Schüler fragen, wie sie das Haus berechnen würden, in dem sie leben. Irgendwann wird ihnen klar, dass man ohne Mathematik auch kein Haus planen kann. Das führt dazu, dass die Schüler einen neuen Zugang zur Mathematik finden. Ihnen wird bewusst: “Hey das ist notwendig, um überhaupt ein Dach über den Kopf zu haben oder mit dem Auto fahren zu können” und nicht “Geh bitte, ich will nicht schon wieder diese langweiligen Formeln lernen”.
Natürlich wird es einem kaum gelingen, jeden Schüler für jedes Fach zu begeistern. Dennoch ist die Wahrscheinlichkeit, das Interesse durch einen inspirierenden Unterricht zu wecken, um ein Vielfaches höher. Grundsätzlich vertrete ich ohnehin die Meinung, dass unser Schulsystem, welches nach wie vor kaum interdisziplinär agiert, grundsätzlich neu überdacht werden sollte. Aber das ist eine andere Geschichte.
3. Die Eigenverantwortung aktivieren
Halte dir immer vor Augen: Du bist nicht dafür verantwortlich, dass deine Schüler in die Welt hinaus gehen und alles richtig machen. Jeder einzelne Schüler ist für sich selbst verantwortlich. Du kannst nur dein Bestes geben, um die Schüler so gut wie möglich auf ihren weiteren Lebensweg vorzubereiten.
Der Schlüssel zum Erfolg lautet hier: Wahrnehmung statt Belehrung. Lasse deine Schüler beispielsweise frei zu Themen wie “Handysucht”, “Natur”, “Alkohol” und ähnlichen kontroversen Problemstellungen debattieren. Jeder von ihnen wird seine eigene Meinung vertreten und so wird der Austausch von selbst Früchte tragen. Es ist wichtig zu erkennen, dass jeder Schüler für sich selbst entscheiden muss, wie er mit Facebook & Co. umgeht und ob er seine Konflikte lieber mit Fäusten oder Worten löst. Deine Aufgabe als Lehrkraft ist es, ihnen bewusst zu machen, dass jede ihrer Handlungen Konsequenzen nach sich zieht.
Die Freiheit selbst entscheiden zu können, bringt jungen Menschen auf lange Sicht gesehen viel mehr, als immer nur von oben herab belehrt zu werden. Letzteres aktiviert lediglich ihren inneren Rebellen und führt meist zum Gegenteil. Man muss einem 17-jährigen Schüler einer Handelsakademie nicht mehr sagen, dass er lernen soll. Schließlich ist er freiwillig hier und sollte selbst entscheiden können, was er von dem Lehrangebot nutzen möchte und wie er es umsetzt.
"Eine Freundin von mir hat gesagt: "Mein Sohn ist 13 Jahre alt und er gerät gerade auf die schiefe Bahn. Kannst du nicht mal mit ihm reden?" Ich habe mit ihm gesprochen und 3 Wochen später bekomme ich einen Anruf, bei welchem die Mutter zu mir gesagt hat: "Hey der ist wie ausgewechselt, das hat voll geholfen." Ich kann das nachvollziehen, weil wenn so jemand wie ich, der das alles durch hat, dir sagt, dass das Schwachsinn ist, dann glaubst du das eher als einem Lehrer oder einem Sozialarbeiter, der nicht weiß wovon er redet. Ich weiß wovon ich rede und ich benutze das jetzt, um Gutes zu tun." - Sido